Mittelmeer

Verflixtes Mittelmeer, Steffis Geburtstag

Nach Tausenden von Seemeilen rund um die Welt dümpeln wir auf den letzten 50 Seemeilen mit „Motorschaden“ auf unserem „heimatlichen“ Mittelmeer unserem Ziel Fethiye an der türkischen Südküste entgegen.

Empfanden wir vorher ein Tempo von 3.5 Knoten als langsam, freuen wir uns nun, wenn wir schneller als ein Knoten sind! „Wow! Jetzt segeln wir bereits 3.4 Knoten!“ tönt es jetzt im Cockpit. „Leider sind es nur noch 2.9 Knoten Fahrt“, heisst es dann wiederum kurz darauf enttäuscht. Mit etwa zwei bis drei Knoten wären wir „schon“ in 40 Stunden am Ziel. Immer noch besser als die berechneten 120 Stunden bei Flaute.

So oder so, es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in Geduld zu üben und mit Lesen und Spielen die Zeit zu vertreiben. Wir entdecken das Spiel „Scrabble“ neu und spielen es stundenlang mit unseren zwei älteren Jungs. Die Aussicht, mein neues Lebensjahrzehnt am Muttertag in einer fröhlichen Runde im Hafen zu feiern, verpufft in der Weite des Meeres und im Triumph der Langsamkeit. Mein Befinden gleicht einer Achterbahn. Aber es rührt mich, wenn ich meine Kinder im Salon mit Papier rascheln und miteinander flüstern höre. Sobald ich den Niedergang heruntersteige, entsteht jetzt jeweils eine kleine Stresssituation auf unserem grossen Tisch und liebevolle Augen strahlen mich an.

Noch gerührter bin ich an meinem Geburtstag. Liebevoll werde ich zum fertig zubereiteten Frühstück geweckt und bekomme die heimlich gebastelten Geschenke in die Koje gebracht. Die vier zeigen eine erstaunliche Teamarbeit. Fehlt eigentlich nur noch ein Geburtstagskuchen mit Kerzchen. Aber woraus sollen wir den nur backen? Es fehlt an Butter und an genügend Zucker und Mehl. Gucken wir doch mal überall in die Schapps, was wir für ein Gebäck so brauchen könnten: Da finde ich noch eine Omelette (Pancake)-Fertigmischung aus Australien! Statt Butter nehmen wir thailändisches Öl, verfeinern die Teigmasse mit reichlich Vanilleessenz aus Sri Lanka und mischen Ananasstückchen aus der omanischen Konserve sowie reichlich Backpulver darunter. Die Kuchenform belegen wir mit karamellisierten Ananasringen. Dekoriert mit ein paar Kerzchen, Wunderstäbchen und chinesischen Knallern sieht der gebackene Kuchen ganz toll aus! Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Yanik und Fabien hantieren fast ohne Hilfe in der Bordküche und kochen ein feudales Geburtstagsmittagessen mit Nudeln und Rindsmedaillon an Steinpilzsosse! Wie selbständig die beiden schon sind! Der Wein darf natürlich auch nicht fehlen! Nach dem Abwasch singen wir „Happy Birthday“ bevor wir die leckere Ananastorte schlemmen. Der Wein lässt mich in eine entspannende Siesta gleiten, bevor wir später am Nachmittag unser Scrabble-Turnier wieder aufnehmen.

Land in Sicht!
Träumen wir oder liegen am Horizont Schneeberge? Wir können es kaum glauben: Auf dem Taurusgebirge in der Türkei liegt tatsächlich Schnee auf den Gipfeln! Welch wunderschöner, aussergewöhnlicher Anblick ist das für uns! So nahe wir dem Land schon sind, die letzten zehn Seemeilen ziehen sich bei null Windgeschwindigkeit wie eine Ewigkeit. Zwar passieren uns einige Segelschiffe, aber es ist nicht möglich, Kontakt aufzunehmen. Bei diesen Seglern handelt es sich wohl um Charterschiffe mit Feriengästen. Diese sind nicht, wie die Langfahrtenschiffe, immer über Funk erreichbar. Die nächste Nacht werden wir wohl noch vor der Küste der Türkei auf See verbringen. Am späten Nachmittag beschliessen wir, den Kindern die Haare zu schneiden und Andi rasiert sich wieder einmal. Wir sitzen alle auf dem Heck, als uns ein Schiff überholt. Sollen wir ihn überhaupt noch um Hilfe bitten, jetzt wo wir schon fast am Ziel sind? Wir rufen und winken. Freundlich winkt der Skipper zurück. Ich versuche einen erfolglosen Aufruf über Kanal 16 auf UKW-Funk. Bleibt uns noch einfach zu winken, bis er begreift, dass etwas nicht stimmt. Endlich ändert der Skipper seinen Kurs in unsere Richtung und kommt längsseits. Wir erklären ihm unsere Situation und bitten ihn, uns die letzten paar Meilen in die Marina von Fethiye zu schleppen. Allerdings hat er ein anders Ziel für den Abend. Es würde ihn insgesamt etwa fünf bis sechs Stunden kosten, uns in die Marina und anschliessend wieder hierher zurückfahren. Eventuell müsste er sogar die Nacht in der Marina in Fethiye bleiben. Deshalb schlägt der Skipper vor, uns in eine geschützte Bucht nur etwa zwei Meilen entfernt zu schleppen. Wir sind skeptisch. Dann würden wir zwar in einer zwar romantischen, aber abgelegenen Bucht ankern. Könnten wir dort eine Fachkraft an Bord bekommen oder wäre es ganz unmöglich den Motor reparieren zu lassen? Zudem kämen wir ohne Motor vielleicht nicht mal mehr aus dieser Bucht heraus, von Manövern bei auflandigem Starkwind ganz zu schweigen. Da wir jetzt schon bald eine Woche auf dem Mittelmeer ohne Motor unterwegs sind, kommt es auf diesen weiteren Tag auf hoher See auch nicht mehr an! Es geht uns allen gut, wir haben Proviant und sind uns weder überdrüssig, noch ist uns langweilig. So lehnen wir sein Angebot ab, uns in die nur zwei Seemeilen entfernte Bucht von Andriake zu schleppen. „Na sagen Sie mal“ wundert sich deutsche Skipper überrascht. „Sie müssen aber schon länger auf Reisen sein, wenn sie mein Angebot, ihr Schiff in Schlepp zu nehmen, ablehnen! Sie dümpeln hier so seelenruhig mit Motorschaden über das Mittelmeer – und das auch noch mit drei Kindern an Bord! So etwas habe ich ja noch nie erlebt! Man merkt, dass Sie auf dem Schiff zu Hause sind! Nehmen Sie mein Angebot an! Die Bucht liegt gleich an der Hauptstrasse zur Stadt, dorthin kommen Sie leicht per Autostopp. Zudem werden in Andriake viele türkische Gulegs (traditionelle Segelschiffe) überholt und es gibt einige gute Fachleute und hilfsbereite Menschen dort!“ Wir lassen uns überzeugen und in Schlepp nehmen bis in die grosse Bucht von Andriake bei Demre. Kaum liegt unser Anker auf 4 m Tiefe, liegen schon einige Beiboote längsseits an der „Muscat“ mit Männern, die uns ihre Hilfe anbieten. Ilias bringt uns gleich frisches Brot sowie einen grossen Sack voll Gemüse und Früchte an Bord. Dies ist für uns unglaublich schön. Endlich können wir wieder einmal richtig frisches Brot, Gemüse und Früchte schlemmen!

Am nächsten Morgen stellt Ilias uns seinen Freund Nadir vor, der uns helfen wird, die richtigen Leute für unsere Probleme zu finden und uns als Übersetzer zur Seite steht. Bald kommen zwei Mechaniker an, die den Motor durchchecken. Zu unserer Erleichterung stellt sich schnell heraus, dass der Motor in Ordnung ist. Mit doppelter Starterbatterieleistung springt er wieder an! Trotzdem bleibt das Problem, dass er von alleine ausging und nicht wieder zum Laufen gebracht werden konnte. Wir entscheiden, dass wir den Motor hier ganz überholen lassen werden. Nadir holt vier Männer zu Hilfe. Sie knüpfen Seile um den Motor und über Rollen an den Mastbaum und versuchen mit lautem Ächzen und Stöhnen den Motor aus dem Motorraum zu hieven. Anschliessend soll er auf das Vordeck eines längsseits liegenden, kleinen Motorbootes geschafft werden. Aber so einfach funktioniert es nicht, denn der Motor ist zu schwer. Nadir holt noch einmal vier Männer zu Hilfe. Mir ist unwohl bei dem Gedanken, dass der Motor in ein paar Minuten nur von Manneskraft gehalten, frei über dem Meer schwebend auf das kipplige Motorboot gelassen werden soll! Und wie bringen die Männer den Motor am Pier wieder vom Motorboot runter auf den Lastwagen?? Ja, ich weiss, Venus sollte Mars nicht dreinreden, also verziehe ich mich besser in die Vorkoje. Als alles gut geht, zolle ich schliesslich meinen Respekt vor der vollbrachten Leistung! Die nächsten Tage zerlegt der Mechaniker in seiner Werkstätte unseren Motor in all seine Einzelteile. Die Ersatzteile werden bestellt und wenn ein Teil nicht einfach beim Vertreter zu bekommen ist, so entsteht eine Telefonkette über das ganze Land. Ist das Teil irgendwo gefunden, wird es wie bei einem Stafettenlauf in den Linienbussen durch das ganze Land geschickt. Ein bis zwei Tage später sind alle benötigten Teile eingetroffen! Andi kontrolliert täglich den Fortschritt sowie die Qualität der Arbeit und ist sehr zufrieden. Der defekte Wassersammler des Auspuffes wird nicht ersetzt, sondern so gut wie möglich zugeschweisst, da wir das Ersatzteil bereits in der Schweiz bestellt haben und es nun bei Andis Schwager auf uns wartet. Zwischen den Besorgungs- und Kontrollgängen in die Werkstatt geniessen wir den langen einsamen Sandstrand. Ein sauberer, klarer Fluss fliesst durch eine romantische Sumpflandschaft ins Meer. Wilde Landschildkröten kreuzen gemächlich unseren Weg auf unseren Spaziergängen durch die unter stattlichen Olivenbäumen gelegenen alten Ruinen. Mit Nadirs Privatauto fahren wir zu geschichtsträchtigen Plätzen und bestaunen die lykischen Felsgräber und römische Arena in Myra, die Kapelle von St. Nikolaus in Demre und die vielen, an idyllischen Fusswegen harrenden, römischen Ruinen. Auf dem Parkplatz in Myra trinken wir einen frisch gepressten, erfrischenden Orangensaft. Hinter der Theke unter einem Stuhl sitzt ein winziger angeleinter Hund. So witzig und zierlich wie Idefix aus der Comic-Serie „Asterix und Obelix“. Zögernd lasse ich mich von Floris zum Hund ziehen. „Mensch ist der süss! Aber ein Hund kommt uns niemals ins Haus oder gar auf das Schiff!“ da sind Andi und ich uns einig. Trotzdem, der aufgeweckte Hund hat sich in unsere Gedanken und Herzen festgesetzt. Nach vier Tagen fahren wir doch noch einmal zurück zum Parkplatz und kaufen die Handvoll Hund prompt nach einer kurzen Verhandlung von der Saftverkäuferin. Nebst den üblichen Besorgungen suchen wir nun auch noch den Tierarzt auf, um die Aus- und Einfuhr korrekt und problemlos mit allen notwendigen Papieren erledigen können. Nach zwei Wochen glänzt unser Motor und läuft wieder wie am Schnürchen. Unsere Polster im Salon und im Cockpit sind neu überzogen.

Der Abschied von diesem wunderschönen Ort, in dem wir als Fremde ankamen und wo wir nun Freunde verlassen, naht. Mit Andis Schwester Caroline an Bord verlassen wir die Bucht von Andriake und fahren nur ein paar Meilen weiter nach in die Bucht von Kekova. Hier liegt auf dem Meeresgrund die bei einem Erdbeben vor Hunderten von Jahren versunkene Stadt Kekova. Über der malerischen Bucht schlemmen wir bei Nadirs Tante in ihrem kleinen Restaurant türkische kulinarische Spezialitäten. Am nächsten Morgen werfen wir aber endgültig und mit schwerem Herzen die Leinen los. Ein Unglück kommt selten alleine… Nur einen Katzensprung entfernt liegt die idyllische griechische Insel Kastellorizo. Wir schlendern durch die engen Gassen auf die Anhöhe und geniessen einen gemütlichen Abend in der Taverne, bevor wir am nächsten Tag bei ruhigen Wetter und guten Aussichten eine schöne Nachtfahrt auf Halbwindkurs nach Rhodos segeln. Leider wird es nichts mit dem Halbwindkurs und schon gar nichts mit der Ruhe. Stattdessen bolzen wir gegen 25 Knoten Wind. Todmüde und gereizt wird auch unser Anlegemanöver rückwärts an den Pier von Rhodos zu einem wenig Ruhmhaften. Da sich während dieser ruppigen Fahrt alle mittschiffs in den Salon oder in die Heckkajüte verzogen haben, bemerkt auch niemand, dass in den beiden vorderen Kajüten die Luken auf Lüftung gestellt sind und Spritzwasser das Bettzeug nässt. Es ist nötig, das Salzwasser gut auszuwaschen. Die Kinder wollen unbedingt auf den auf der anderen Strassenseite liegenden, etwa 500 m entfernten, Spielplatz gehen. Sie waren zwar noch nie dort, aber mit Hilfe von Andis gezeichnetem Plan, meinen sie, ihn einfach finden zu können. Meine Begeisterung, die im Verkehr ungeübten Kinder gleich beim ersten Landgang alleine über die starke befahrene Strasse und auf Entdeckungstour gehen zu lassen, hält sich stark in Grenzen. Schnell wasche ich das Salzwasser aus der Wäsche und eile ihnen nach. Prompt sehe ich sie über die Strasse rennen und dann weiter in die entgegengesetzte Richtung des Spielplatzes. Ich rufe sie zurück, begleite sie auf den Spielplatz. „Hier bleibt ihr, bis ich vom Einkaufen zurück bin.“ weise ich sie an und renne in den gegenüberliegenden Laden. Als ich kurz darauf wieder zurückkomme, sind die Kinder weg. Ich überquere die Strasse zur Hafenpromenade und höre von weitem Floris heulen. Es scheint nichts Ernstes zu sein. Auch Andi hört das unüberhörbare Heulen und wir erreichen den Platz gleichzeitig. „Floris hat wildfremde Leute um Geld angebettelt, damit er auf einem Auto/Tier ? mit einem Münzautomaten reiten kann. Da sind wir gegangen und jetzt trotzt er“, erklärt Yanik. „Wo hat er denn seine Schuhe?“ frage ich. „Wohl auf dem Spielplatz vergessen“, antwortet Yanik. „Ich hole sie sofort“, ruft Fabien eifrig und fährt mit seinem kleinen Roller gleich los, was mir sehr missfällt, weil es eine stark befahrene /unübersichtliche Strasse (?) ist. Andi kehrt mit Yanik und Floris zum Schiff zurück, währenddessen ich auf Fabien warte. Es dauert. Ich spaziere ihm entgegen. Langsam werde ich ungeduldig. Da sehe ich von den Hauswänden reflektierend ein Blaulicht blinken. Ich fange an zu laufen und renne schliesslich bis zum Fussgängerstreifen beim Spielplatz. Wie in Zeitlupe sehe ich, dass sich alle Leute zu mir umdrehen und die Menschentraube sich öffnet. Auf dem Fussgängerstreifen liegt gänzlich verbogen Fabiens Roller! Fabien wird gerade von Sanitätern in die Ambulanz geführt. Er weint und ruft: „Mami, warum wollen mich diese Leute in den Wagen tragen und wegfahren? Warum lassen sie mich nicht gehen?“ Zusammen fahren wir in der Ambulanz ins Spital, während ich Fabien erkläre, dass er wohl einen Unfall hatte. Er wird untersucht. Gott sei Dank erlitt er „nur“ eine Hirnerschütterung und Prellungen. Schliesslich fährt uns die Polizei zurück zur Unfallstelle. Der involvierte Autofahrer wird zwecks Schadenersatzabklärung erwartet. Bis dieser eintrifft, bringe ich Fabien aufs Schiff ins Bett. Inzwischen ist es abends und seit wir uns auf den Weg machten, die Schuhe zu holen, sind einige Stunden vergangen. „Wart ihr noch ein bisschen einkaufen?“ fragt mich Andi ahnungslos, als wir ins Cockpit kommen. Zusammen kehren wir zur Unfallstelle zurück und tauschen die Adressen mit dem Autofahrer aus. Er wird uns am nächsten Tag einen neuen Roller bringen. Zurück auf dem Schiff legt sich Andi nach der schlaflosen Nacht todmüde in seine Koje.

Ich spaziere mit unserem Hund Chai noch eine Runde. Zurück auf dem Schiff höre ich Fabien weinen und gebe ihm seine Medizin. Dann wieder ein ungewohntes Geräusch. Was scharrt da immer wieder leise an der Aussenwand unseres Schiffes? Ein seltsames Geräusch, wie ich es noch nie von Fischen oder Muscheln gehört habe! Ich schaue draussen nach und sehe in der Dunkelheit unser kleines Hündchen im Wasser herumschwimmen. Erst versuche ich ihn mit einem Bootshaken zu fischen, doch ohne Erfolg und es bleibt mir nichts anderes übrig, als in diese dreckige Hafenbrühe zu springen!. Ich ziehe mich bis auf meine Unterwäsche aus, rufe Caroline in ihre Kajüte, dass ich ins Wasser springe, um den Hund zu retten. Obwohl ich mich möglichst langsam ins Wasser lasse, versinke ich bis über den Kopf in der Brühe. Ich schwimme dem Hund nach und zurück an den leiterlosen Pier. Wie komme ich da bloss wieder raus?!! Ein deutsches Rentnerpaar, das jede Nacht mit einem Netz die Hafenfische als Hobby fischt sowie ein italienischer Segler, wurden auf meine Not aufmerksam und ziehen uns raus. Da stehe ich nun in der Unterwäsche, platschnass (komme mir selbst vor, wie ein begossener Pudel?), mit einem kleinen Hund auf dem Arm, spätabends auf dem Pier im belebten Hafen von Rhodos. Ich bedanke mich eilig bei meinen Helfern und dusche mich und Chai ausgiebig und mit viel Shampoo. Kaum liege ich endlich in meiner Koje, beginnt Fabien wieder zu weinen. Er hat Schmerzen. Ich wecke Andi und bitte ihn, den Schlafplatz mit Fabien zu tauschen, damit für mich besser um Fabien kümmern kann. Andi trägt Fabien in die Heckkoje. In diesem Moment übergibt sich Fabien – über das ganze Bett und mich! Andi bezieht alles frisch, während ich noch einmal ausgiebig mit viel Schaum dusche. Es ist jetzt schon weit nach Mitternacht. Was für ein Tag! Und obwohl ich so todmüde ich bin, liege ich nun bis fünf Uhr morgens hellwach in meiner Koje, neben mir leise wimmernd Fabien. Zur Fabiens Erhohlung lassen wir uns Zeit bis zur Weiterfahrt, trotz hervorragender Wetterprognose und schnell voranschreitender Zeit. Es ist bereits Juni. Anfangs Juli muss Andi wieder zurück an die Arbeit in die Schweiz. Caroline ist inzwischen wieder nach Hause zurückgekehrt. Nach zwei Tagen ist Fabien schon wieder fast ganz gesund, obwohl er noch ab und zu über Kopfschmerzen klagt und auf das helle Sonnenlicht empfindlich reagiert. Ein Eisverkäufer, der Zeuge des Unfalles war, spendiert Fabien ein Eis und meint, dass er wohl einen guten Schutzengel habe. Das Auto hätte ihn in voller Fahrt angefahren. Er sei auf die Kühlerhaube geflogen und unter ein parkiertes Auto gedrückt worden. Er hätte nicht geglaubt, dass das Kind den Unfall überlebe. Mir soll noch einer sagen, Segeln wäre gefährlich! Durch die Gewöhnung an eine Gefahr wird diese scheinbar banal, während das Ungewohnte stets gefährlich erscheint.

In kurzen Etappen segeln, eher aber fahren wir unter Motor eine Woche nach dem Unfall von einer mythischen, griechischen Insel zur anderen. Wir verlassen die Dodekanesischen (?) Inseln und segeln durch die Kykladen. Auf unserer nächtlichen Überfahrt von den Kykladen zum Peloponnes setzt wieder der Motor aus!! Wir setzen die Segel und segeln zurück zur kleinen Insel Kythnos, die letzte der Kykladen. In der kleinen, engen Bucht setzen wir den Anker auf nur drei Metern Tiefe. Eine Trillerpfeife begleitet unser Manöver. Wo wird hier Fussball gespielt? Ich entdecke einen wild fuchtelnden Mann in Uniform und mit Trillerpfeife auf einer Balustrade über der Bucht. Er will, dass wir uns noch näher an den Strand verlegen, damit die Fähre besser manövrieren könne. Also hieven wir wieder den Anker und Yanik schiebt mit dem Dinghy die Muscat näher an den Strand. Prompt setzen wir auf. Also schiebt uns Yanik wieder einige Meter hinaus. Später fahren wir an den Strand hinüber und versuchen jemanden aufzutreiben, der das ungenügend geflickte Loch im Auspuff-Sammeltopf reparieren kann. Leider bleibt Andis Suche erfolglos, während die Kinder im Restaurant am Strand je zwei Stücke Kuchen offeriert bekommen und genussvoll schlemmen. Wir melden uns beim Hafenmeister und lassen unser griechisches Transitlog stempeln. Er meint, dass wir hier keinen geeigneten Schweisser finden würden. Er empfiehlt uns, nach Lavrion bei Athen zu segeln. Zurück im Cockpit überlegen wir, was wir als nächstes tun könnten. Diese enge Bucht bei dem stets auflandigen Wind zu verlassen ist fast unmöglich, es sei den, wir ziehen jetzt gleich die Segel rauf, denn gerade hat der Wind gedreht. Sofort machen wir uns bereit. Wir ziehen die Segel und den Anker rauf, da setzt der Wind aus und wir treiben auf die seitlichen Klippen zu. Noch zwei Meter und wir hängen in den Felsen. „Lass den Anker runter, wir stranden“, rufen wir Andi nervös zu! Er drückt das Segel, um das kleine bisschen Wind doch noch einzufangen. Die Leute in den Restaurants am Strand stehen bereits vor dem Restaurant, um das Schauspiel besser beobachten zu können! Da, endlich ein Hauch Wind, der reicht gerade, uns langsam von der Felswand wegzublasen. Der Wind hat gedreht, er ist wieder auflandig wehend, aber der kleine Moment vom ablandigen Wind hat gereicht, um die Muscat auf Kurs zu bringen. Aufkreuzend verlassen wir ganz langsam die geschützte Bucht. Wir haben Glück, der Wind bläst einigermassen konstant. So können wir sogar streckenweise auf Halbwindkurs, dann wieder auf Am-Wind-Kurs Richtung griechisches Festland segeln. Nachts zieht ein Gewitter auf. Wir kommen gut vorwärts und müssen schliesslich vor der Küste noch das Tageslicht abwarten. Als die Sonne aufgeht, ist auch der Wind fast weg. Wir segeln zeitweise fast genau soviel vorwärts, wie uns die Strömung wieder zurück trägt. Gegen Mittag haben wir endlich die Höhe von der Olympic Marina erreicht. Wir funken sie an und bitten um Hilfe für die Einfahrt in die Marina. „Die Marina ist voll, probieren sie es im öffentlichen Hafen, wenige Meilen weiter oben“, erhalten wir zur Antwort. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter zu segeln. Wir versuchen den öffentlichen Hafen von Lavrion anzurufen, erhalten aber keine Antwort. Nun, vielleicht ist das sowieso besser, wir segeln hinein, vorbei an den ungeheuer grossen Fähren. Zuhinterst im Hafenbecken, abseits vom Schiffsverkehr, werfen wir den Anker. An Land sucht Andi den Hafenmeister und Informationen. Wir lassen uns sagen, einen Hafenmeister gibt es hier wohl nicht, dafür aber einen Schiffsmechaniker. Der kommt auch prompt, guckt sich den Motor kurz an und macht das Angebot, für 5.000 Euro den Motor aus dem Motorraum zu hieven und gründlich zu untersuchen. 5.000 Euro um einen neu überholten Motor anzugucken?! Die ganze Motorrevision in der Türkei hat nicht mal die Hälfte seiner Forderung gekostet! „Nun, meint der Mechaniker gelassen. Ich bin hier der einzige Mechaniker und ohne meine Bescheinigung, dass der Motor läuft, dürfen sie diesen Hafen nicht mehr verlassen!“ Aha, daher weht der Wind! Wir wollen es uns mal bis zum nächsten Morgen überlegen. Nach Mitternacht werden wir unsanft aufgeschreckt. Ein Polizeiboot reisst uns mit lautem Rufen mit einem Megaphon und blendendem Scheinwerferlicht aus dem Schlaf. Sie wollen unsere Schiffspapiere sehen und verlangen, dass wir uns an den Pier verlegen. Das geht nicht so einfach ohne den Motor. Da packen sie unsere Schiffspapiere gleich ein und gewähren uns gnädig die Frist, uns bis am nächsten Morgen irgendwo an dem übervollen Pier zu verlegen. Dieser nächste Morgen beginnt verdriesslich. Andi sucht das entfernte Hafenbüro auf und erhält die Nachricht, dass die Schiffspapiere nur mit der Bestätigung vom Mechaniker wieder ausgehändigt werden. Wir wollen aber seinen Fantasiepreis nicht bezahlen und beschliessen, vorerst mal die Muscat an den nur etwa fünf Meter entfernten Pier zu befestigen, da gerade eine Yacht den äussersten Platz frei gegeben hat. Da segelt eine kleine, deutsche Yacht flott in den Hafen hinein, genau mit Kurs auf „unseren“ angestrebten Liegeplatz. Andi springt ins Dinghy und erklärt dem deutschen Segler unsere Lage. „Das ist kein Problem. Ich nehme Sie an meine Seite und wir legen uns gleich beide an den Platz“, lacht er uns zu. „Seht doch, wie unsere Muscat im Hafen herummanövriert?“ denke ich begeistert. Dass uns das kleine Segelschiff von der einen Seite schiebt, sieht man von Land aus gar nicht! Eiskalt geht Andi erneut zum Hafenmeister und verlangt die Schiffspapiere zurück mit der Behauptung, er hätte den Motor selber flicken können. Er bekommt sie ausgehändigt, nun wollen sie aber unseren Versicherungsausweis haben. Das ist kein Problem. Wir suchen ihn aus unseren Papieren raus und stellen fest, dass er vor einem Monat abgelaufen ist und der neue wohl bei Andis Schwester Monika in der Schweiz liegt. Wir erhalten den neuen Versicherungsausweis von ihr zugefaxt und kehren zum Hafenmeister zurück. Er ist immer noch nicht zufrieden! Er benötigt einen Versicherungsausweis, der detailliert ausweist, welcher Schaden durch welche Versicherungssumme abgedeckt wird. Wir rufen die Versicherung an und erhalten von einer automatischen Ansage die Information, dass die Versicherungsgesellschaft nicht mehr tätig sei. Es ist Freitagnachmittag, zu spät um die Versicherungsbrokerin noch vor dem Wochenende zu erreichen. Wir müssen bis Montag warten. Andi hat gänzlich die Nase voll und will in einer Nacht- und Nebelaktion die ca. 250 sm zurück bis in die Türkei segeln. Auf dem Land suche ich krampfhaft nach einer Lösung, um diese Rückfahrt zu vermeiden. Da ging ich doch eben an einem kleinen Altar zu Ehren von Nikolaus, dem Patron der Kinder und Seefahrer, vorbei! Ich kehre um und sage zu der brennenden Kerze im Altar: „Nun Nikolaus, wir haben drei Kinder und segelten um die ganze Welt. Das sollte doch reichen für Hilfe von dir, da wären wir wirklich froh drum.“ 50 m weiter am Pier höre ich zwei Männer auf deutsch über eine Charterfirma diskutieren. „Sprich diesen Mann an, er scheint sich hier auszukennen“, denke ich mir. „Ach was, wie soll er uns schon helfen können, und peinlich ist es auch!“ „Probier es doch einfach, ohne Fragen geht es sowieso nicht weiter“, höre ich meine innere Stimme weiterreden. So gehen meine Gedanken noch ein paar mal hin und her, bis ich schliesslich stehen bleibe und umkehre. Und siehe da: der Angesprochene war jahrelang Dieselmotor-Ingenieur bei BMW in Deutschland und besitzt hier seine eigene Charterfirma! Wenige Stunden später sitzt er bei uns im Motorraum. Dann geht es wieder los: Die beiden Männer überprüfen den Motor bis ins kleinste Detail. Alles scheint in Ordnung zu sein. Atenasius besorgt uns eine bessere Batterie. Leider lässt sich der Motor auch damit nicht starten, dafür ist jetzt der Anlasser defekt. Andi treibt am nächsten Tag einen neuen passenden auf. Jetzt dringen sie mit Spezialwerkzeug bis ins Innerste des Motors vor. Auch hier ist alles in Ordnung. Dann ist auch Atenasius ratlos. Inzwischen sind auch die Verkäufer im Fachladen auf das Problem aufmerksam geworden und erkundigen sich regelmässig nach dem Erfolg. Die haben einen Freund, der Dieselmotoren studiert habe und schicken ihn bei uns vorbei. Wieder checken sie den ganzen Motor durch und kommen zum Schluss, dass der Motor tipp topp und gut gewartet ist. Schliesslich meint der Fachmann: „Jetzt gibt es nur eines, wir bringen ihn mit Aether zum Starten, der braucht doch einfach mal einen explosiven Start. “ Währenddessen gehe ich mit Floris und Yanik auf den Spielplatz. Eine Stunde später kommen Andi und Fabien betrübt daher. Ich bin aufgeregt, meine Sorge um den Motor und um die Folgen, falls er nicht mehr zum Laufen kommt, sind sehr gross „Wir haben ihn mit Aether gestartet“, meint Andi, wie mir scheint sehr betrübt. “Ja, und? Läuft er nun?“ hake ich nach. „Er ist explodiert und durch das ganze Gehäuse verläuft nun ein Riss!“ Ich bin fassungslos. Tränen schiessen mir in die Augen! „Beruhige dich“, erwidert Andi, „es war ein Witz!“ Der Motor läuft wunderbar und lässt sich ohne Probleme jeweils im Nu starten! Es gab wohl einfach feinen Staub in den Ventilen, der nun rausgepustet oder verbrannt wurde!“ Unsere Erleichterung ist riesig! Wir bereiten uns natürlich sofort für die Weiterfahrt vor.

So schnell wie möglich möchten wir diesen öden, hässlichen Hafen verlassen und fahren schon am nächsten Morgen noch in der Dunkelheit los, damit wir gleichentags den Kanal von Korinth passieren können. Einige Meilen weiter westlich thront der beleuchtete Tempel Poseidons hoch über dem Meer auf der Anhöhe. Es ist ein eindrücklicher, mythischer Anblick in dieser dunklen Nacht. Die Organisation und Durchfahrt durch den Kanal von Korinth verläuft problemlos. Vor etwa hundertzwanzig Jahren gruben die Menschen hier diesen Kanal an der schmalsten Stelle, die den Peloponnes mit dem Festland verband. Damit ersparten sie sich die 400 km lange Umfahrung um den Peloponnes. Abends legen wir im Fischerhafen von Korinth fest. Wir geniessen zusammen einen abendlichen Spaziergang durch die quirlige Stadt mit vielen kleinen Läden. Beim Bankomaten wollen wir mit unserer nach Ägypten gesandten Bankkarte Euro ziehen. Leider kommt die Karte nicht mehr heraus, die Maschine scheint in einer endlosen Verarbeitung gefangen zu sein. Es erscheint weder eine Fehlermeldung noch sonst eine Nachricht, stattdessen surrt die Maschine ununterbrochen. Was tun? Weggehen können wir ja auch nicht, jederzeit könnte die Karte ja wieder ausgespuckt werden. Nach langem Warten rufen schliesslich Passanten über die Gratisnummer bei der Bank an. Diese lässt uns ausrichten, dass es Freitagabend wäre und erst am Montag wieder ein Mitarbeiter verfügbar sei. Mir reicht es, ich habe mich schon zuviel geärgert in Griechenland. Ich drohe der Bank an, dass ich mit meinem drei Kindern und einem gemalten Pappschild, auf dem unsere Misere beschrieben steht, vor der Bank verharren und allenfalls auch übernachten werde, bis ich die Karte zurück habe. Keiner hat sich bis jetzt erkundigt, ob wir überhaupt genug Cash hätten, um ein Hotelzimmer zu bezahlen, oder wo wir wohl übernachten würden. Die Bank bleibt dabei, vor Montag werde niemand unsere Karte rausholen. Von nun an bitte ich alle Kunden, die den Bankomaten benutzen möchten, in unserem Namen die Bank anzurufen, was diese auch hilfreich tun. Ich lasse ihnen ausrichten, dass ich zur Polizei gehe und den Diebstahl der Karte anzeigen sowie die Zeitung aufbieten werde, wenn sie nicht auf der Stelle jemanden schicken. Inzwischen ist auch die Ladeninhaberin nebenan auf uns aufmerksam geworden und ruft ihren persönlichen Bankberater an. Schliesslich fährt tatsächlich ein Bankangestellter vor und holt uns unsere Bankkarte in zwei Minuten zurück. Zu seinem Glück bin ich just in diesem Moment im Laden, ansonsten hätte ich ihm gerne einen Gratisvortrag über Kundenfreundlichkeit und prompten Service gehalten! Nun, wir haben beschlossen, die letzten Wochen noch ohne Stress zu geniessen und unsere Muscat vorläufig in der Bucht von Nidri, bei der Insel Lefkada, in den Schlamm zu setzen und sie vorläufig dort zurück zu lassen, statt nach Italien gegen den Wind hinauf zu fahren. Die letzten Wochen waren mehr Frust als Freude und so wollen wir unsere lange Reise nicht beenden. In der Bucht von Nidri geniessen wir unsere gemeinsamen zwei letzten Wochen auf „Muscat.“

Im Herbst werden Andi und ich sie in die Marina bringen und zum Verkauf ausschreiben. Ausklang In letzten abenteuerlichen vierzehn Monaten segelten wir um die halbe Welt. Noch sind wir überwältigt von den vielen Eindrücken und berührt von den vielen lieben Menschen, die wir auf unserem Weg getroffen haben. Diese Schönheiten zu erleben ist auch die Antwort auf die uns oft gestellte Frage, warum wir solche Strapazen auf uns nahmen. Es war ein Traum, den wir uns möglich gemacht und erfüllt haben. Ein Traum, der erfüllt ist und uns heute mit Ruhe und Freude begleitet und aus dessen Samen wieder neue Träume entstehen werden. Für uns hat der durchgeplante Schweizer Alltag wieder begonnen. Yanik und Fabien besuchen jetzt die vierte, bzw. die zweite Klasse und kommen gut im Schulstoff mit. Floris langweilt sich ohne seine Brüder und wartet jeweils sehnsüchtig auf deren Rückkehr. Er besucht zweimal in der Woche sehr gerne die Spielgruppe und einmal das Eltern-Kind-Turnen. Es ist schön, alle die Möglichkeiten hier nutzen zu können, zur Ruhe zu kommen, auch wenn wir unsere Flügel stutzen mussten, damit die Wurzeln wachsen können.

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